Miriam's Geburt Ein Alptraum
Bei der Geburt live dabei zu sein lasse ich mir nicht entgehen. Meine Freundin Anneke, im zehnten Monat schwanger, ist auch schwer interessiert an diesem Event und so reseverieren wir uns zwei Freikarten mit Blick auf den Kreißsaal, in einer schön gelegenen Klinik in der Nähe von Filderstadt.
Um Punkt Mitternacht, nach ihrem allstündlichen Klogang, bemerkt Sie und dann auch ich, daß irgendetwas anders ist. Ein tiefes monotones Summen im Hintergrund lenkt uns beide von dem Film Wie im Himmel ab. Sofort schießt es uns durch den Kopf: Es geht los!. Zwar hatten wir noch nie gehört, daß sich die Vorwehen wie eine zu tief fliegende B-52 anhören, jedoch kommen mir auch gleichzeitig die Worte der Hebamme in den Sinn: Jede Geburt ist anders!. Etwas verunsichert lege ich meinen Kopf, mit dem Ohr voraus, auf ihren Bauch. Diagnose: Vorwehen. Das Waschprogramm der Spülmaschine neigt sich allmählich dem Ende zu. Die Wehen kommen jetzt alle 12 bis 15 Minuten. Wir packen unsere Sachen und fahren um 1:30 in die Klinik.
Dort angekommen, werden wir von einer Hebamme empfangen, die uns in ein Zimmer führt, in dem zu meiner Enttäuschung, nur ein Bett steht und ein schreckliches Bild an der Wand hängt. Auf dem Bild überreicht eine Frau mit viel zu dünnen Fingern einem Kind ein X. Das Kind sieht von weitem aus wie ein kleiner Punker mit abstehenden Haaren. Nach genauerem Hinsehen stellt sich die Frisur jedoch als Heiligenschein heraus. Ganz rechts unten steht ein viel zu kleiner Pfarrer, der horizontal auf die linke Bildkante stiert. Die Deutung dieses Bildes kostete uns noch die ganze Nacht und ich wette, daß es absichtlich dort hängt. Dieser Künstler hat sich auf die Malerei von Wehenablenkungsbildern spezialisiert.
Es stellt sich heraus, daß wir nicht die einzigen im Kreißsaal sind. 4 weitere Betten sind belegt und die Hebammen springen im Kreis. Die Wehen meiner Freundin verstärken sich langsam und sie bekommt allmählich Angst, da herzzereißende Schreie aus dem Nachbarzimmer zu hören sind. Irgendwie kommen wir auf das Thema Schreien und Ton finden. Nicht zuletzt durch den Film Wie im Himmel angeregt. Es geht um die Findung des eigenen inneren Tons und um den Mut seinen Stolz zu überwinden, wenn er zur Selbstlüge führt.
Gegen 8:00 kommt eine Ärztin und untersucht den Muttermund, er ist ca. 1,5 cm geöffnet. Ich frage mich natürlich wie sie das mißt, frage Sie aber nicht, weil es irgendwie jetzt nicht reinpaßt. Ich denke die plausibelste Erklärung ist folgende: Das Kind hält seit seiner Zeugung einen wasserfesten Stift in der Hand und wartet auf einen Daumen der sagt: Hallo, schreib mal den Durchmesser des Muttermundes auf mich drauf!. Das erklärt auch das eifrige Hände waschen der Ärztin nach der Untersuchung.
Die Stärke der Wehen bleiben bis 13:30 Uhr gleich, dann kommt eine Hebamme und meint daß jetzt ein Bad angebracht wäre, um herausuzufinden ob die Wehen echt sind. Sozusagen Hü oder Hott. Entweder nach dem Bad in den Kreißsaal oder wieder nach Hause. Das Bad stellt sich als wohltuend heraus. Die Wehen verstärken sich plötzlich und kommen jetzt alle 6 Minuten. Um 15:00 verlassen wir das Bad wieder, das anschließende CTG gleicht jetzt einem vertikalen Querschnitt der Voralpenlandschaft. Der Muttermund ist um 7cm geöffnet.
Ab jetzt weiß ich nicht mehr alles so genau. Ich atme mit meiner Freundin auf Pah und Ah und Oh und ab und zu auch auf Caramba oder Scheiße tut das weh. Die Hebammen sind nicht da, wahrscheinlich denken sie, die zwei kriegen das schon zusammen hin. Es ist immer noch viel los. Alle 4 Kreißsäle sind belegt. Ich denke ...so ein Scheißladen! Für was sind wir eigentlich hergekommen. Bis mir auffällt, daß meine Freundin ja noch gar keine Presswehen hat und das alles aus Sicht der Hebammen ganz normal verläuft. Die Zeit geht viel schneller rum als vorher. Es ist tatsächlich als Mann auch harte Arbeit. Ich bin hellwach und atme manchmal mit weil ich mir sonst ungebraucht vorkomme. Vor allem vergißt meine Freundin manchmal das Wegatmen der Wehen. Der Kopf wird Rot und die Wehe geht irgendwie in den Kopf rein, habe ich den Eindruck.
Jetzt gehts aber erst richtig los, sagt eine Hebamme gegen 18.00 Uhr und hat damit Recht. Der Muttermund ist jetzt ganz offen, ein Kreisaal nicht in Sicht. Eine Hebamme ist jetzt bei uns und meint zu meiner Freundin, daß sie in diesem Zimmer ihr Kind bekommen muss. Ich denke ...was für ein Sch...! Aber was solls, ich habe jetzt keine Zeit einen fünften Kreissal zu bauen. Deshalb bleibe ich ruhig sitzen und wir machen weiter wie zuvor. Die Presswehen setzen immer noch nicht ein und die Hebamme geht ab und zu mal raus um nach den anderen Frauen zu schauen.
Meine Freundin ist am Ende. Sie ist ausgepowert und will nicht mehr. Aus weiser Voraussicht schließt die Hebamme einen Tropf mit Wehenverstärkungsmittel an um die letzten Kräfte optimal zu nutzen. Der Kopf des Kindes rutscht mit jeder Wehe weiter vor. Meine Freundin hält mit beiden Händen meine Hand und drückt was das Zeug hält. Ich bekomme abwechselnd einen Hörsturz und einen Heulanfall und kann auch nicht mehr. Es geht einfach nicht mehr weiter. Ein Stunde verharrt das Kind in einer Position und will einfach nicht raus. Die Hebamme zieht jetzt eine Ärztin zu Rate. Diese öffnet die Fruchtblase mit einer Schere die schrecklich aussieht, aber meine Freundin sieht das ja nicht. Eine Menge Flüssiges überströmt das Bett. Die Lage ändert sich aber nicht, die Kraft der Gebärmutter reicht irgendwie nicht mehr aus. Gegen 21:10 Uhr kommt eine zweite Ärztin und krempelt die Ärmel hoch. Jetzt geht alles ganz schnell. Mit ihrem Ellenbogen drückt sie bei der nächsten Wehe brutal auf den Bauch und unterstützt damit den Pressvorgang. Meine Freundin schreit Ich will jetzt mein Kind kriegen!. Und zwar so laut das die Wände wackeln. Die nächste Wehe ist die letzte, das Kind ist aufeinmal komplett da und liegt einfach so auf dem Bauch der Mama. Ich traue meinen Augen nicht. Man drückt mir eine Schere in die Hand, die ich erstmal fallen lasse. Aber dann im zweiten Anlauf dazu verwende die Nabelschnur durchzuschneiden. Wir weinen beide. Es ist großartig. Beim Schreiben kommen mir auch die Tränen. Ich weiß nur das ich euch ganz arg lieb hab.
Und ich habe noch was zu sagen: Alle Arschgesichter von Männern die nicht mit zur Geburt gehen (wenn es die Frau will), sind große Feiglinge. Wenn man seine Frau liebt, geht man mit, denn die Liebe stellt sich dort wie nirgends sonst auf die Probe.