Ich hatte am 7.9.2012 eine Abtreibung und möchte darüber erzählen, wie es mir damals ging und wie es mir jetzt damit geht.
Als ich schwanger wurde, war ich 21 Jahre alt und hatte gerade mein 3. Lehrjahr angefangen. Mein Freund (heute Mann) war 27 und wir wohnten in einer großzügigen 2-Zimmer-Wohnung. Da ich aufgrund von extremen Nebenwirkungen die Pille nicht mehr vertragen habe, wollten wir mit einem Verhütungspc verhüten. Wir waren nachlässig und so wurde ich schwanger. Den Test habe ich samstag morgens gemacht, ich war total aufgeregt als der zweite Strich kam, mir wurde richtig schlecht. Ich habe direkt meinen Freund geweckt, der ging nur wortlos raus und hat erstmal nicht mit mir geredet. Für mich kam zu dem Zeitpunkt die Frage nach einer Abtreibung nicht auf, nur danach, wie ich das alles organisiert bekommen sollte.
Nach dem ersten Schreck waren wir beide nicht wirklich begeistert. Wir kauften noch einen Test, der auch positiv war. Es gab nichts zu zweifeln. Mein Freund hat das Thema Abtreibung zuerst angesprochen und mir die Vorteile aufgezählt. Ich war dadurch schon ganz schön verletzt. Es war ja immerhin unser gemeinsames Kind. Er zählte mir auf, wie sehr es unser Leben und meine Ausbildung beeinträchtigen würde. In mir kamen Zweifel auf, ob ich das echt alles so schaffen würde. Er sagte mir, dass er das Kind nicht wollte.
Schon am Tag danach begann eine fürchterliche Übelkeit. Wir machten bei zwei Beratungsstellen und bei der Frauenärztin einen Termin aus. Die Beratungen halfen nicht wirklich weiter. Ich hätte mir Zuspruch erwartet, das Kind zu bekommen. Leider bekam ich diesen nicht. Meine Frauenärztin meinte, dass es kein Problem sei, jetzt abzutreiben und einfach später ein Kind zu bekommen. Sie hat sehr dafür gesprochen, das Kind nicht zu bekommen und mein Freund hat sich da auch ziemlich bestätigt gefühlt.
Es ging mir die Tage danach nicht gut. Mir war sehr, sehr übel und im Kopf hatte ich ein regelrechtes Karussel. Eigentlich wusste ich aber, dass ich mein Kind bekommen wollte. Egal, ob alleine oder mit ihm. Er fing an, mich unter Druck zu setzen, aber ich blieb hart. Das Kind sollte kommen. Ich plante bereits, wie ich es meinem Umfeld beibringen wollte und wie ich meine Ausbildung doch noch irgendwie zu Ende kriegen sollte.
Dann rief meine Mutter mich an. Ihr ging es sehr schlecht. Der Brustkrebs war zurück. Sie bat mich um Unterstützung. Ich wusste, dass ich sie nicht in dem Maße unterstützen könnte, wenn ich schwanger bin. Keine Besuche auf der Station, keine Begleitung bei der Chemo ich war am Boden. Entweder mein Kind oder meine Mutter. So habe ich mich damals gefühlt. Mein Freund bearbeitete mich, mich um meine Mutter zu kümmern. Sie rief oft an (wusste nichts von der Schwangerschaft) und wollte hören, dass ich sie unterstütze. Mein Bruder rief mich an und sagte, wir müssten als Familie zusammenhalten. Die ganze Situation hat mich überfordert. Ich hatte das Gefühl, zu versagen, egal, was ich tue.
Zwei Tage danach war ich weich gekocht. Ich habe die schlimmste Entscheidung meines Lebens getroffen und mich gegen mein Kind entschieden. Es gibt nichts, was ich bis jetzt mehr bereut habe.
Schon direkt nach der Abtreibung wusste ich, was für einen großen Fehler ich gemacht habe. Ich habe mich danach durchgeschlagen und meine Mutter unterstützt, wo ich konnte. Ich hatte das Gefühl, dass ich das tun muss, damit mein Kind wenigstens nicht umsonst gestorben ist. Mein Bruder hat zwei Wochen nach der Abtreibung stolz verkündet, dass er Vater wird. Das Kind ist genauso alt wie mein Kind gewesen wäre, wenn ich es nicht abgetrieben hätte. Ich habe bis heute Probleme, meinen Neffen anzusehen, obwohl er am allerwenigsten für alles kann. Um meine Mutter hat sich mein Bruder während ihrer Krankheit nicht gekümmert, er war ja werdender Vater und mit wichtigeren Dingen beschäftigt.
Ich wollte mich von meinem Freund trennen. Statt dessen haben wir geheiratet und uns geschworen, nie wieder so etwas zu tun. Auch er leidet im Nachhinein darunter. Wir haben nach einer Fehlgeburt und vielen, vielen Steinen im Weg ein Kind bekommen; der Kleine ist im Frühling geboren. Dennoch vergesse ich meine anderen beiden Kinder nie. Ich denke jeden Tag an meine Schuld. Wenn ich meinen Sohn ansehe, sehe ich, was ich verloren habe und was ich getan habe.
Meine Mutter ist wieder gesund geworden. Jetzt kümmert sie sich um den Sohn meines Bruders, damit er und seine Frau Karriere machen können. Dass er während ihrer Krankheit nicht da war, hat sie vergessen. Ich erwarte keine Dankbarkeit, sie weiß ja nicht, was passiert ist.
Ich weiß nur eins: dass ich nie wieder für andere Menschen eine Entscheidung treffen werde. Niemand ist es wert, meine eigenen Gefühle über Bord zu werfen und mein eigenes Kind abzulehnen. Ich habe damals eine Entscheidung getroffen. Die falsch war. Damit muss ich jetzt leben, jeden Tag. Hätte ich mein Kind bekommen, wäre ich sicher finanziell nicht besser dran, aber im Herzen wäre ich glücklicher. Ich bin absolut dankbar für meinen Sohn, aber die Trauer um meine anderen beiden Kinder wird mich vermutlich nie loslassen. Gespräche und Aufarbeitung der Abtreibung haben mir nur bedingt geholfen. Ich habe gegen meinen eigenen Willen gehandelt und das werde ich mir nie verzeihen.
Ich kann niemanden davon abhalten, abzutreiben. Aber ich kann nur davor warnen, wie schrecklich die Folgen sein können. Kein Kind, das man bekommt, kann einem diesen Schmerz zufügen, den man empfindet, wenn man sein Kind abtreibt, ohne dahinter zu stehen.
Ich vermisse meine Kinder. Das wird immer so bleiben, egal wie viele ich noch bekommen darf. Für mich persönlich war die Entscheidung zur Abtreibung grundlegend falsch und die Erkenntnis, dass ich nie wieder für jemand anderen so etwas tun würde, wird mich mein Leben lang schmerzhaft begleiten.