Kleiner Sonnenschein,
weil Mama und Papa sich so sehr lieb haben, ist das Wunder geschehen. Nach langer Zeit des Hoffens und Sehnens, zahlreichen Arztbesuchen und Tabletten, bist du plötzlich da. Du hast dir ein warmes Plätzchen in meiner Gebärmutter gesucht. Es scheint dir dort gut zu gefallen, denn du wächst und wächst und wächst. Gut, du bist noch klein, aber als Mutter erkennt man schon, dass da ein kleines Königskind heranwächst! Außerdem fühle ich es auch. Mir ist ständig schlecht und meine Essgewohnheiten werden immer verrückter! Aber das ist nichts gegenüber der Freude, die wir beide, Papa und Mama, erleben. Ich bin überglücklich, möchte der ganzen Welt von dir erzählen. Es ist so schön, dass du da bist!
Du bist jetzt schon sechs Wochen alt (8.SSW) und über einen Zentimeter groß. Ich durfte dich sogar schon auf einem Ultraschall-Foto sehen! Dein kleines Herz hat kräftig geschlagen, ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Es ist unglaublich, dass du schon jetzt alle lebenswichtigen Organe in dir hast! Du bist vollkommen, ein Geschenk Gottes und ein wahres Wunder! Ich kann den nächsten Frauenarzttermin kaum erwarten. Am liebsten würde ich dich jeden Tag anschauen, jeden Wachstumsschritt verfolgen.
In drei Wochen darf ich dich wiedersehen. Ich hab dich lieb, mein kleiner Schatz!
Endlich! 11. SSW, du bist fast 10 Wochen alt. Diesmal ist auch dein Papa mitgekommen. Er kann es gar nicht erwarten, dich zu sehen. Du bist wieder ein ganzes Stückchen gewachsen. Aber die Ärztin guckt besorgt. Du bist nicht groß genug für dein Alter. Da stimmt etwas nicht! So sehr sich die Ärztin auch bemüht und das Ultraschallgerät hin und her bewegt, sie kann deinen Herzschlag nicht finden. Das kleine Herzchen, das noch vor kurzer Zeit so kräftig geschlagen hat, scheint auf einmal still zu stehen. Wir sind sprachlos. Papi nimmt mich in den Arm, ich schlucke meine Verzweiflung tapfer herunter, als ich eine Überweisung ins Krankenhaus bekomme. Vor der Tür kann ich die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie laufen unaufhaltsam. Ich verstehe das nicht! Was hat das zu bedeuten? Kann es wirklich sein, dass dieser Traum zerplatzt? Würde Gott das zulassen? Ist es denn nicht sein Wille, dass wir ein Baby bekommen? Aber vielleicht hat sich die Ärztin ja auch verguckt, flackert eine kleine Hoffnung in mir auf. Oder die Technik hat versagt, das ist doch immerhin möglich! Im Krankenhaus die ernüchternde Wahrheit: der Fötus lebt nicht mehr. Du lebst nicht mehr. Ich trage ein totes Baby in mir. Ein geliebtes Baby, auf das wir uns so gefreut haben. Du hast schon Finger, ich habe sie gesehen. Winzigkleine Hände. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Es passiert in jeder 5. Schwangerschaft und es muss kein zweites mal passieren hat der Arzt gesagt. Aber warum passiert es ausgerechnet mir?!
Für mich, deine Mami, bricht eine Welt zusammen.
Ich suche Trost bei lieben Menschen, die mich zärtlich in den Arm nehmen und trösten. Ich will dich nicht verlieren, mein kleiner Sonnenschein! In den letzten zehn Wochen drehte sich gedanklich alles nur um dich. Und jetzt? Ich fühl mich doch immer noch schwanger. Mir ist immer noch schlecht. Gut, der Appetit ist mir vergangen, aber ansonsten ist nichts anders. Hab ich etwas falsch gemacht? Zu schwer gehoben? Falsch gegessen?
Am nächsten Tag gehe ich zum Gemeindegottesdienst gegangen. Als ich die Gemeinde betrete, ist mir mulmig. Was soll ich den Leuten sagen, wenn sie fragen, wie es mir geht? Kann ich darüber sprechen ohne jedes Mal in Tränen auszubrechen?
Schließlich sagt Gott mir, dass wir eine Gemeindefamilie sind und wir Freud und Leid miteinander teilen. So bitte ich Carmen, mit mir zusammen nach vorne zu gehen teile es allen mit. Was danach kommt, ist Gottes geballte Liebe, die ich durch die Menschen erfahre. Jeder nimmt auf seine Art und Weise Anteil an unserem Verlust. Ich werde an diesem Abend so getröstet, ermutigt und aufgefangen, dass meine Tränen bereits am folgenden Tag getrocknet sind und ich mit Freuden nach vorne sehen kann.
Das Leben geht immer weiter, auch nach solch einer Enttäuschung.
Ich bin bis heute überwältigt davon, wie schnell Gott die Welt, die für mich zusammengebrochen war, wieder aufgebaut hat.
Ich weiß heute, dass es einen Sinn hatte, dass Gott dich nicht auf diese Welt geschickt hat, kleiner Sonnenschein. Vielleicht hat er auch erst noch etwas Anderes mit uns vor, bevor er unseren Herzenswunsch nach einem Baby erfüllt. Er kann das Wunder jederzeit geschehen lassen. Wir vertrauen auf seinen Plan für unser Leben und gehen mit Ihm weiter voran! Ich habe durch den Glauben Frieden. Ich freue mich, Kinder zu erleben - jedes einzelne als ein liebevolles Geschenk Gottes zu sehen - und ihnen Gottes Liebe zu geben.
Und manchmal, wenn ich doch mal sehnsüchtig an das Mamasein und an dich, kleiner Sonnenschein, denke und Tränen über meine Wangen kullern, gehe ich ins Gebet, um dir und unserem liebenden Papa nah zu sein. Ich ruh mich bei ihm aus, lasse mich trösten und gehe dann mit neuer Kraft, Zuversicht und Frieden in den neuen Tag hinein!
Machs gut, mein kleiner Schatz, bis wir uns wiedersehen.
Deine Mami