Hallo du,
es tut mir sehr leid, dass du unter deiner Entscheidung so sehr leidest.
Ich glaube, dieses Tabu, wovon du sprichst, kommt auch deshalb zustande, weil du, wenn es dir nach einer Abtreibung schlecht geht, kaum noch auf irgendjemanden zählen kannst.
Vorher sind da die Abtreibungsgegner, die dir Mut zum Kind machen wollen und dich warnen vor einem Schritt, den du bereuen könntest, und die Abtreibungsbefürworter, die dir sagen, dass es nicht so schlimm ist, dass es in deiner Situation das Beste ist, dass sie selbst auch schon abgetrieben haben und keine psychischen Probleme davongetragen haben.
Nach der Abtreibung, wenn du sagst, dass du die Entscheidung bereust, sieht es so aus:
Du schämst dich vor denen, die dich gewarnt haben und die dagegen sind; sie könnten dich verurteilen oder aber sagen: "Siehst du ..." oder "Selbst schuld, warum hast du auch abgetrieben?!"
Für diejenigen, die "prochoice" sind, bist du dagegen entweder eine Bedrohung, weil sie tief drinnen doch auch etwas spüren von dem, wie es dir geht, und das nur nicht vor sich oder anderen zugeben, oder aber sie verstehen es wirklich nicht, weil sie so etwas gar nicht spüren und du mit deinen Gefühlen aber wieder den Abtreibungsgegnern neues "Futter" bietest.
Also, irgendwie sitzt du zwischen allen Stühlen und fühlst dich ganz allein ... so verlassen, wie dein Freund dich auch verlassen hat.
Und dann gibt es noch diejenigen, die mit dir fühlen und dir sagen, du sollst dich nicht schuldig fühlen ... aber obwohl du weißt, dass es lieb gemeint ist, hilft dir das nur ein wenig, denn du fühlst dich nun mal schuldig und musst jetzt irgendwie einen Weg finden, damit zu leben, und mit deiner Trauer um dein Kind, mit diesem "hätte ich doch nicht ..." und "niemals werde ich ...".
Da kommt jetzt das ins Spiel, wovon Angelika - sicher in für uns ungewohnter Sprechart und sehr enthusiastisch, was leicht als "fanatisch" angesehen werden kann: die Vergebung.
Letztendlich ist es genau das, was dir auf Dauer helfen kann, deinen Frieden zu finden. Wenn du weißt, dass du etwas falsch gemacht und damit jemanden verletzt hast und es bereust, versuchst du normalerweise, denjenigen um Vergebung zu bitten und es vielleicht irgendwie wiedergutzumachen. Nur ist das im Fall einer Abtreibung nicht so leicht möglich, denn die Person, die du um Vergebung bitten möchtest, ist tot, und du kannst das Geschehene nicht wieder gut machen...
Wer an einen Gott glaubt, der uns liebt, egal was wir getan haben, und der uns vergibt, wenn wir es ehrlich bereuen, der hat es da leichter als jemand, der nicht an Gott glaubt. Deshalb möchte dir Angelika das ans Herz legen, wodurch sie selbst Frieden gefunden hat. Weil man besser lernen kann, sich selbst zu vergeben, wenn man eine solche große vergebende Liebe in seinem Leben erfahren hat.
Wenn dir das jetzt alles sehr fremd ist und du auch keine Lust verspürst, dich darauf einzulassen, bleibt zumindest eins: es wäre gut, wenn du dir Hilfe suchst, damit du lernen kannst, dir selbst zu vergeben. Eine Therapie ist sicher ein Ort, um zumindest zu üben, liebevoller zu dir selbst zu sein und dich auch mit deinen Schwächen und Fehlern anzunehmen. Gerade, wenn du zu Verhaltensweisen wie SvV oder Magersucht neigst, solltest du damit nicht zu lange warten. Sei es dir selbst wert. Es nützt niemandem etwas, wenn du dich selbst nun hasst und bestrafst für Dinge, die du nicht mehr ändern kannst und an denen du auch nicht die alleinige Schuld trägst (zumal du an sich mit deinem Verhalten ja sogar etwas Positives wolltest, nämlich die Situation für deinen Freund erleichtern, und erst im Nachhinein gemerkt hast, was du damit dir und deinem Kind angetan hast).
Was SvV angeht, kann ich dir übrigens ein gutes Selbsthilfeforum empfehlen, falls du es noch nicht kennst: es heißt RoteLinien und ist für Angehörige und Betroffene von SvV. Die Menschen dort gehen sehr liebevoll und feinfühlig miteinander um, und es kann hilfreich sein, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Auch zum Thema "Nach Abtreibung" gibt es Foren, aber damit kenne ich mich leider nicht mit aus, was ich dir da empfehlen könnte.
Ich hoffe für dich, dass du dich auf einen Weg begeben kannst, der dich letztendlich zu Vergebung und Frieden führt, und dass du die Hilfen findest, die du dafür brauchst.
Alles Liebe für dich,
Anka