Ärzte wollen weniger Geburten per Kaiserschnitt
Jedes dritte Kind kommt in der Schweiz per Kaiserschnitt zur Welt. Zu viele, findet der Bundesrat. Gynäkologen und Kinderärzte gehen jetzt gegen Wunschkaiserschnitte vor.
Katharina Bracher
Säuglinge, die durch einen geplanten Kaiserschnitt zur Welt gekommen sind, leiden häufiger an Lungen-Entwicklungsstörungen als Babys, die vaginal geboren wurden. Dies haben der Neonatologe Riccardo Pfister und sein Forschungsteam am Universitätsspital Genf in einer über 22 Jahre reichenden Studie mit 56 549 Säuglingen nachgewiesen. Ausserdem sei die Sterblichkeitsrate der Babys, die per Kaiserschnitt zur Welt kamen, mit 5,7 Promille deutlich höher als jene von natürlich Geborenen, von denen 1,4 Promille nach der Geburt starben.
Leider werden die Komplikationen, die nach Kaiserschnitten auftreten, oft verharmlost, sagt Pfister. Das führe dazu, dass Frauen auf einen geplanten Kaiserschnitt setzten, obwohl medizinisch gesehen kein Anlass dazu bestehe. An Privatkliniken werden oft Kaiserschnitt-Raten von bis 50 Prozent beobachtet viel höher als an öffentlichen Spitälern, sagt Pfister. Er führe dies vor allem auf mangelnde Beratung zurück. Aus diesem Grund planen verschiedene Facharzt-Gesellschaften eine Informations-Offensive gegen Wunschkaiserschnitte. Pfister, der als Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie amtiert, arbeitet zusammen mit dem Hebammenverband und den drei Fachgesellschaften für Gynäkologie, Pädiatrie und Anästhesiologie an einer Informationsbroschüre. Die Broschüre klärt sachlich über die Risiken eines geplanten Kaiserschnitts auf und soll jeder Schwangeren abgegeben werden, sagt Pfister. Die Verteilung an Arztpraxen und Spitäler in der ganzen Schweiz sei für die nächsten vier Monate geplant.
Auch Christian Kind, Präsident der Gesellschaft für Pädiatrie, würde bei fehlender Indikation von einem geplanten Kaiserschnitt abraten. Gesundheitliche Auswirkungen eines Kaiserschnitts machten sich teilweise auch erst Jahre nach der Geburt bemerkbar. Beim Kaiserschnitt kommt ein Kind sozusagen steril zu Welt, erklärt Kind. Bei der vaginalen Geburt werde der Körper des Säuglings mit den natürlichen Bakterien der Mutter besiedelt, was wichtig sei für die Entwicklung des kindlichen Organismus. Man weiss etwa, dass die Darmflora von Kindern, die per Kaiserschnitt zur Welt kamen, weniger angepasst ist als jene von natürlich Geborenen, sagt Kind. Dies sei unter anderem deshalb von Bedeutung, weil die Darmflora Bestandteil der menschlichen Immunabwehr sei. Entscheidend dafür, wie sich ein Kaiserschnitt auf die gesundheitliche Konstitution eines Kindes auswirkt, ist gemäss Pfister vor allem der Zeitpunkt der Entbindung. Bei einer normalen Entbindung sorgen Wehen dafür, dass sich die Lunge von der Flüssigkeit befreien kann, mit der sie im Mutterleib gefüllt ist, sagt Pfister. Werde ein Kaiserschnitt vor dem Einsetzen der Wehen gemacht was bei einem Wunschkaiserschnitt ja der Fall ist , könne sich die Lungenfunktion nicht gleich gut entwickeln.
In den letzten Jahren hat sich der Anteil der Kaiserschnittgeburten kontinuierlich erhöht. Alleine am Universitätsspital Genf, berichtet Pfister, habe sich die Kaiserschnitt-Rate innert zwanzig Jahren von 10 auf 20 Prozent verdoppelt. Im Schweizer Durchschnitt sind es etwa 33 Prozent Tendenz steigend. Die regionalen Unterschiede sind teilweise beträchtlich. Warum immer mehr Kinder in der Schweiz per Kaiserschnitt zu Welt kommen, vermag niemand zu sagen. Der Bundesrat hat letzte Woche als Antwort auf einen parlamentarischen Vorstoss einen Bericht veröffentlicht. Darin schreibt er, dass die Schweizer Kaiserschnitt-Rate eine der höchsten weltweit sei. Was den Anstieg verursache, sei aber ungewiss.
Abgesehen von medizinisch begründbaren Kaiserschnitten etwa aufgrund einer Beckenendlage gibt es Gebärende, die Bedenken gegenüber Risiken und Schmerzen einer natürlichen Geburt hegen und einen Kaiserschnitt vorziehen. Statistisch gesehen sind diese Lifestyle-Kaiserschnitte, wie sie von Kritikern auch genannt werden, nicht fassbar.
Es dürften aber auch andere Faktoren eine Rolle spielen, so etwa der verstärkte Wunsch nach Absicherungen bei den Geburtshelfern, wie Pfister zu bedenken gibt: Geht bei einer vaginalen Geburt etwas schief, wird der Arzt sofort gefragt, warum er keinen Kaiserschnitt gemacht habe.
http://mobile.nzz.ch/aktuell/schweiz/aerzte-wollen-weniger-geburten-per-kaiserschnitt-1.18036202