Alles perfekt
Was ist für dich die Definition von perfekt? Viele sagen und denken, ich hätte ein perfektes Leben. Ich habe einen guten, sicheren Job, einen tollen Ehemann, ein Haus und ein Auto, das diesen Status widerspiegelt. Und bin ich glücklich mit meinem perfekten Leben? Ich weiß es nicht. Man sollte doch mal mit dem zufrieden sein, was man hat. Aber wir brauchen auch jeder etwas, wonach wir streben können.
Nichts ist so, wie wir es erwarten.
Nichts ist so, wie es scheint.
In meiner perfekten Welt fehlte nur noch das perfekte Kind. Daran arbeiten wir nun seit über einem Jahr. Perfekt wäre gewesen, wenn ich sofort schwanger geworden wäre und wir nun ein Traumkind hätten. Ein Traumkind wäre für mich ein Mädchen, das im Sommer geboren worden wäre. Eine kleine friedliche Prinzessin, die aussieht wie ich und die ruhige Art von meinem Mann hat.
Nur so ist es nun mal nicht abgelaufen. Nach mehr als 12 Monaten wurde ich endlich schwanger. Am 17.09. diesen Jahres bekamen wir von der Frauenärztin die erfreuliche Nachricht. Meine Freude war verhalten. Ich war durch den Wind. Mein Mann freute sich deutlich. Er wollte mit mir schon direkt über die Kinderzimmerauswahl und den Namen sprechen. Das ging mir alles zu schnell. Ich konnte das nicht wechseln. Ich brauchte eine Zeit um das alles zu verdauen. So richtig schwanger fühlte ich mich von Anfang an nicht. Am zweiten Termin sollte ich den Mutterpass bekommen. Dem war jedoch nicht so. Die Ärztin sagte, es sein noch zu klein. Einen Herzschlag fand sie auch noch nicht. Allerdings war ich da schon in der 8. Schwangerschaftswoche. Sie vertröstete mich auf einen Termin zwei Wochen später. Allerdings ging meine Ärztin sodann selbst in Mutterschaft, so dass ich den Termin bei ihrem Kollegen wahrnehmen musste. Zu diesem Termin begleitete mich meine Mutter. Ich sagte ihr vorab, dass an diesem Tage der Mutterpass erstellt werden solle und wir das erste Bild erhalten würden. Bei der Ultraschalluntersuchung sagte der Arzt, dass er noch keinen Herzschlag erkennen könne. Das sei ihm etwas suspekt. Es könne aber daran liegen, dass die Berechnungen nicht stimmen würden. Er wolle es dennoch überprüfen. Mir wurde Blut abgenommen. Es sollte der HCG-Wert überprüft werden. Zwei Tage später sollte mir wieder Blut abgenommen werden, um die Werte vergleichen zu können. Wenn sich der Wert verdoppeln würde, würde alles in der Schwangerschaft normal verlaufen. Ich verließ die Praxis mit meiner Mutter mit gemischten Gefühlen. Die beiden darauffolgenden Tage ging ich nicht arbeiten. Bei der zweiten Blutabnahme teilte mir die Arzthelferin mit, dass mein erster Wert bei 14.000 lag. Das kam mir wenig vor. Am Tag danach ging ich wieder zur Arbeit. Dort erhielt ich dann um 08:15 Uhr einen Anruf der Arztpraxis. Die Arzthelferin stellte mich zu dem Arzt durch und ich wusste schon, was mich erwartete. Er teilte mir mit, dass mein Wert leider gesunken sei und bei der zweiten Untersuchung nur noch 11.000 betrug. Somit sei es eine Fehlgeburt. Er sagte, es tue ihm leid, dass er keine besseren Nachrichten für mich habe. Er wolle es zunächst mit Tabletten versuchen, das Gewebe zu ent-fernen. Wenn das nicht klappen sollte, müsse eine Ausschabung gemacht werden. Ich musste schlucken um überhaupt antworten zu können. Ich fragte nur noch, ob ich mir einen Termin geben lassen müsste oder ob ich so vorbei kommen könne. Er sagte, ich solle im Laufe des Tages einfach in die Praxis kommen. Ich beendete das Gespräch und brach zusammen. Ich weinte eine Stunde lang. Ich konnte einfach nicht damit aufhören. Mein Kollege wusste nicht, was er sagen oder machen sollte. Ich bat ihn, meinen Mann anzurufen.
Ich holte meinen Mann dann von der Arbeit ab und wir fuhren zusammen zur Arztpraxis. Bis wir zum Arzt rein konnten, hatte ich mich wieder im Griff. Der Arzt erklärte uns alles noch mal. Seine Erklärungen machten jedoch nichts besser.
Die Vorstellung nun Tabletten nehmen zu müssen, um das Gewebe auszuscheiden, war einfach nur grausam. Ich nahm Tabletten, die Wehen auslösen sollten. Ich weiß noch nicht mal, ob der Embryo gelebt hat und ob die Tabletten ihm den Rest geben. Das schlimmste ist die Vorstellung, es die Toilette runter spülen zu müssen. Damit kam ich nicht klar.
An dem Tag, an dem wir es erfuhren, waren wir bei Freunden um uns abzulenken. Das klappte gut. Jedoch nur für die Zeit, die es dauerte. In dieser Nacht träumte ich davon, dass ich ein Mädchen zur Welt bringen würde. Die Geburt ging schnell; sie dauerte nur eine Stunde. Ich weiß noch, wie ich es in dem Armen hielt.
Am nächsten Morgen brachte ich meinen Mann zur Arbeit. Danach wusste ich nicht, wohin mit mir. Ich saß bei einem Bäcker mit einem Kaffee. Dann fuhr ich zu meiner Mutter und besuchte sie auf Arbeit. Sie nahm mich in den Arm und tröstete mich. Danach erfuhr ich, dass eine Freundin von mir erfahren hat, dass sie in der 7. Schwangerschaftswoche schwanger ist und ihr Embryo bereits 4,7 mm misst. Das gab mir den Rest. Ich weinte und weinte. Mein Embryo hatte nur 3 mm in der 8. Schwangerschaftswoche. Ich begreife nicht, warum meine Ärztin nicht schon vorher eingegriffen hat, warum wir es erst schon in der Welt rumposaunt haben, warum ich noch zwei Wochen länger mit dem toten Gewebe rumlaufen musste. Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Es tut so verdammt weh.
Ich weiß nicht, wie ich damit fertig werden soll. Ablenkung hilft gut. Es hilft zu putzen, den Alltag mit Beschäftigung zu überstehen. Aber dann muss man es der Familie sagen und die Schwiegermutter sagt: Es wird wieder alles gut. Ich habe auch eine Kind verloren. Und auf Nachfrage, wie weit sie gewesen sei, antwortet sie: Ich habe meinen großen Sohn verloren. Er wollte als Kind lieber bei seinem Vater leben. Was für ein beschissener Vergleich! Wie soll mir so etwas weiter helfen? Oder wie soll es mir helfen, wenn alle sagen Ich bin für euch da. Meldet euch, wenn ich was tun kann.? Es hilft nicht. Es kann keiner helfen. Was sollen sie auch machen? Es kann mich keiner ver-stehen. Es kann keiner verstehen, wie weh das tut, wie grausam das ist.
Blöde Kommentare und Floskeln kann man sich sparen.
Ich kann meine Freundin, die gerade schwanger ist, nicht sehen und auch keinen Kontakt zu ihr haben. Ich kann meine Schwägerin nicht sehen. Sie ist im 5. Monat schwanger. Ich ertrage es einfach nicht.
Meine ach-so-perfekte-Welt bröckelt
Die Tabletten haben sodann nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Letzte Woche Montag war ich wieder bei meinem Frauenarzt. Die Fruchthöhle war noch komplett sichtbar. Er sagte, dass wir um eine Ausschabung nicht rumkommen würden. Er wollte für den Freitag einen Termin im Klinikum machen. Ich müsste vorher nur noch mit dem Narkosearzt sprechen. Am Dienstagabend bekam ich Schmerzen und leichte Blutungen, die sich bis Mittwoch verstärkten. Ich hatte Hoffnungen, dass die Ausschabung evtl. nicht mehr notwendig sein würde.
Am Mittwoch war dann der Termin beim Narkosearzt - jedenfalls dachte ich das. Ich wurde aber zunächst in die Gyn geschickt. Dort wurde ich noch einmal komplett untersucht - von einer Assistenzärztin. Es war furchtbar erniedrigend. Ich musste drei Mal auf die Frage antworten "Ist das Ihre erste Schwangerschaft?". Die Ärztin war absolut emotionslos. Ich kämpfte schon bei dem Gespräch mit den Tränen. Nachdem sie mir Blut abgenommen hatte, sollte ich noch mal untersucht werden und sie bat mich auf den Stuhl. Sie rief dann noch den Oberarzt an, weil ich ihr von meinen Blutungen erzählte und von der Überlegung, ob die Ausschabung dennoch nötig sei. Gerade als sie mich mit dem Spekulum untersuchte, platzte der Arzt rein. Ich zuckte zusammen. Die Ärztin stellte sich nicht so gut an, was es für mich nicht einfacher machte. Der Arzt übernahm irgendwann und stellte dann fest, dass die Ausschabung noch nötig sei, weil die Fruchthöhle nicht abgegangen war. Nach der Untersuchung konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten, obwohl ich noch zum Narkosearzt musste.
Am Freitag war dann der Tag gekommen. Mein Mann nahm sich frei und fuhr mich ins Klinikum. Die Ausschabung wurde unter Vollnarkose gemacht. Es ging mir abends schon wieder recht gut.
Mittlerweile muss ich nicht mehr so viel weinen.
Heute habe ich noch einen Termin bei meiner Therapeutin und hoffe, dass sie mir noch helfen kann, alles besser zu verarbeiten.
Der Frauenarzt sagte mir, dass gar nicht sicher ist, ob es bei mir schon ein Embryo oder nur ein Dottersack war. Es macht jedoch für mich keinen Unterschied.
Er gab mir noch eine Broschüre von der Kirche, wo Eltern ihre Sternenkinder beerdigen lassen können, und empfahl mir eine Hebamme, die sich mit Fehlgeburten beschäftigt. Nach dem ich von der Beerdigung hörte, musste ich auch schlucken.
Es ist einfach hart und schmerzt.
Ich poste das alles hier, weil ich einfach jemanden brauche, der mich versteht.