Liebe Schreiberin,
diese Neuigkeiten sind für euch sicher schwer zu realisieren. Alle Eltern wünschen sich doch gesunde Kinder, und nun das?
Ist denn nur die linke, oder auch die rechte Hand betroffen?
Dies ist erst mal ein Schock. Und sofort drängen sich Bilder auf - du denkst daran, wie dein Mädchen mit dem fehlgebildeten Händchen klopft. Vielleicht stellst du dir auch vor, wie sie sein wird, mit 3 Jahren, mit 12 oder 28. Und denkst an diesen Makel, der dir - zur Zeit - noch das Herz bricht.
Ich möchte dir ans Herz legen, zwei Dinge getrennt voneinander zu betrachten.
Zum einen - wie wird mein Kind damit klar kommen? Und ich glaube, das bestätigen auch alle die mit gewissen (nicht schwerwiegenden) Behinderungen - wunderbar! Sie wird ihren Körper als normal und natürlich empfinden und ihn längst zu benutzen wissen, noch ehe sie versteht, dass bei ihr vielleicht ein bißchen was anders ist als bei anderen. Meiner Meinung nach kann es bei dieser Entscheidung gar nicht darum gehen, zum Wohl des Kindes zu entscheiden. Sie kann und wird ein ganz normales kleines Mädchen sein, das bei alltäglichen Dingen manchmal etwas anders herangehen muss als andere.
Die zweite und vielleicht für euch zur Zeit wichtigere Sache ist, wie kommt ihr als Eltern damit klar? Habt ihr sie immer noch genauso lieb wie vorher? Traut ihr euch zu, sie zu einem selbstbewußten Menschen zu erziehen, der seine Behinderung nicht versteckt, und der *sich* auch nicht hinter seiner Behinderung versteckt, und der anderen Kindern eine lange Nase dreht, wenn sie mal gehänselt wird? Könnt ihr euch vorstellen, sie ganz normal zu behandeln, ihr die nötigen Hilfen zu besorgen, aber trotzdem zur Selbständigkeit zu erziehen? Traut ihr euch zu, nicht jedes mal mitleidige Blicke auszutauschen wenn ihr auf das Händchen eurer Tochter guckt?
Weißt du, ich arbeite jeden Tag mit körperlich oder psychisch eingeschränkten Menschen. Diejenigen, die ganz selbstverständlich und gut klar kommen, sind die, die ganz normal erzogen wurden, ohne den dauernden Fokus auf ihr Handicap, die nicht durch das Verhalten der anderen gelernt haben "ich bin bemitleidenswert".
Hey, es ist sowieso kein Kind perfekt. Andere Kinder bekommen Neurodermitis, Asthma, ADHS oder schiefe Nasen, sind miserabel in Mathe oder völlig unsportlich. Nur: ihr wißt schon, dass euer Kind nicht perfekt ist. Und könnt es damit vielleicht von Anfang an auf ganz besondere Weise lieben.
Weißt du, ich selbst befürworte die Möglichkeit der Abtreibung, und ich hatte selbst auch schon einen Abbruch. Allerdings muss ich sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt (22SSW) es nicht mehr könnte und wollte. Denn zu diesem Zeitpunkt hat sich beim Kind bereits ein Bewußtsein und Schmerzempfinden angefangen zu entwickeln. Da könnte ich ehrlich gesagt keinen Abbruch mehr machen lassen, es sei denn die Behinderung wäre so massiv, dass das Kind nach der Geburt ohnehin nur unter Schmerzen kurze Zeit zu leben hätte. Außerdem würde ein so später Abbruch bedeuten, dass du den Körper deines Kindes trotzdem noch gebären müßtest. Den Gedanken finde ich persönlich ganz schrecklich.
Ich würde an eurer Stelle nun erst mal das Ergebnis der FU abwarten, um zu schauen ob wirklich keine anderen schwerwiegenden Behinderungen vorliegen. Laut US ist euer Kind doch ansonsten kerngesund, oder?
Und nehmt euch erst mal Zeit, euch mit dem Gedanken an das kleine Handicap anzufreunden. Euer Mädel ist ein Wunschkind, ihr habt ja offenbar auch unerhörtes Glück gehabt, ohne medizinische Hilfe schwanger zu werden.
Überlegt euch in Ruhe, wenn der erste Schock sich gelegt hat, ob ihr dieses Glück wirklich freiwillig hergeben wollt.