Liebe Userinnen,
ich würde gerne mal ein paar Fakten zum Thema "Post Abortion Syndrom" (PAS) herein bringen, da es hier immer wieder mal erwähnt wird, in erster Linie um Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt vor psychischen Folgen eines Abbruches zu warnen.
Der Begriff PAS wurde von V. Rue 1981 ins Leben gerufen. Er bezeichnete damit einen Zustand, den er als Art posttraumatischen Stress nach Abtreibung beschrieb. PAS wurde von Beginn an zum umstrittenen Politikum. Pro-Lifer benutzen den Begriff nach wie vor und behaupten PAS sei ein Faktum und betreffe viele Frauen nach einem Abbruch, während Pro-Choice Anhänger und die überwältigende Mehrheit der Forscher dies klar verneint. Die gängigen Diagnosekataloge enthalten den Begriff auch nicht. Was also stimmt denn nun?
Zunächst einmal: ja, ganz klar ist es möglich, nach einem SSA psychische Probleme zu bekommen. In den meisten Fällen sind diese vorübergehender Natur und unterscheiden sich nicht von den Problemen, die nach jeder schwerwiegenden Lebensentscheidung oder Krise auftreten können.
In den Fällen, wo tatsächlich längerfristige und/oder schwerwiegende Schwierigkeiten auftreten, kann man von einer akuten Belastungsstörung (wenige Tage) oder einer Anpassungsstörung (einige Wochen bis Monate) sprechen. Als Auslöser dieser Störung kommen alle Arten von belastenden Ereignissen in Frage (Trennung, Arbeitsplatzverlust, Mobbing, schwere Erkrankung, Trauerfall usw). Da jedoch nicht alle Menschen nach so einem Ereignis eine psychische Störung von Krankheitswert entwickeln, liegt ein Augenmerk psychologischer Forschung darauf, in wie weit sich Menschen in ihrer Anfälligkeit und Bewältigung voneinander unterscheiden. Es sind verschiedene Risikofaktoren erkennbar, die eine Person für die Entwicklung einer solchen Störung anfälliger machen, u.a. vorbestehende mangelhafte Belastbarkeit oder psychische Störung, unzureichende zwischenmenschliche Unterstützung oder Defizite in der persönlichen Bewältigungsstrategie.
Im Falle eine ernsthaften Depression kann ein SSA ein möglicher Auslöser sein, aber keinesfalls eine alleinig ausreichende Erklärung für eine solche Erkrankung. (es würde hier zu weit führen, Ursachen für Depressionen umfassend in allen verschiedenen theoretischen Ausrichtungen darzustellen. Auch hier spielt eine generelle Vulnerabilität (Anfälligkeit, Verletzlichkeit) beispielsweise durch genetische Faktoren und frühkindliche Erlebnisse eine Rolle. Wer mag, kann sich ja schlau lesen)
Eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), mit der PAS am ehestens gleich gesetzt wird, kann nach DSM-IV nur dann diagnostiziert werden:
"Das traumatische Ereignis beinhaltet das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat oder die Beobachtung eines Ereignisses, das mit dem Tod, der Verletzung oder der Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person zu tun hat oder das Miterleben eines unerwarteten oder gewaltsamen Todes, schweren Leids, oder Androhung des Todes oder einer Verletzung eines Familienmitgliedes oder einer nahestehenden Person" (DSM-IV, Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders). Das traumatische Erlebnis selbst wird begleitet durch Gefühle von Angst, Hilflosigkeit und/oder Entsetzen.
Hier wird deutlich, wie sehr es dabei auf die persönliche Sichtweise der betroffenen Frau ankommt. Betrachtet sie einen Abbruch für sich als "Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit" bzw. den Embryo bereits als "Familienmitglied oder nahestehende Person", ist die Entwicklung einer PTBS möglich aber nicht notwendig. Erlebte Hilflosigkeit und Ohnmacht stellen hier einen Risikofaktor dar und machen deutlich, dass eine Abtreibung unter massiver Nötigung (durch Familie, Partner usw) gegen den Willen der Frau zu Posttraumtischen Stress führen kann (aber nicht muss: Fast alle Menschen erleben irgendwann im leben ein oder mehrere Traumata, die Wahrscheinlichkeit einer PTBS liegt jedoch nur bei etwa 8 Prozent, was bedeutet dass die Mehrheit der Menschheit solche Ereignisse ohne Entwicklung einer schwerwiegenden PTBS verarbeiten kann. Vieles hängt auch hier von der individuellen Bewältigungsstrategie und Ressourcen zur Verarbeitung ab).
Symptome der PTBS sind beharrliches Wiedererleben des Ereignisses in Form von eindringlichen belastenden Erinnerungen und/oder belastenden Träume und/oder Handeln oder Fühlen, als ob das Ereignis wiederkehrt; sowie anhaltendes Vermeidungsverhalten bzgl. traumaverbundener Reize oder emotionale Abstumpfung; sowie erhöhte Erregung (Schlafprobleme, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit). Die Symptome halten mind. Einen Monat an und beginnen teilweise erst Monate oder Jahre nach dem Trauma. Schuld-, Scham- und Wutgefühle sind häufig begleitend
Ernsthafte psychische Probleme nach einem SSA lassen sich somit problemlos in diese bestehenden Diagnosekategorien einordnen. Die Verbreitung eines sogenannten PAS ist daher völlig unnötig und sachlich falsch. Ansonsten könnte man auch anfangen, ein Post-Mobbing-Syndrom oder Post-mein-Mann-ist-fremdgegang en-Syndrom postulieren. Diagnostisch ist das unnötiger Käse. Aber natürlich lässt sich das PAS gut dafür nutzen, um dem "unsagbaren Schrecken" nach einem SSA einen Namen zu geben, der dazu noch so schön wissenschaftlich klingt.
Begriff hin oder her - wie häufig sind aber nun tatsächlich psychische Störungen nach einem SSA?
Die TASK FORCE ON MENTAL HEALTH AND ABORTION der APA (American Psychological Association) hat zuletzt 2008 eine Auswertung von allen englischsprachigen Studien seit 1989 dazu vorgenommen. Im Durchschnitt ist die methodische Qualität der Studien eher mäßig bis schlecht. In der Auswertung wurden deshalb die Studien betont, deren wissenschaftliche Qualität (unabhängig von ihrem Ergebnis) als zufriedenstellend angesehen werden kann. Nach dieser Auswertung gibt es k e i n e ernstzunehmenden Beweise dafür, dass das Risiko für psychische Probleme bei Frauen erhöht ist, die bei ungewollter SS einen einmaligen SSA innerhalb des ersten Trimesters hatten.
Als Risikofaktoren für die Entwicklung psychischer Störungen nach SSA wurden benannt:
Stigmatisierung, erzwungene Geheimhaltung, geringe soziale Unterstützung für die Entscheidung, niedriges Selbstwertgefühl, geringe Kontrolle, starke Ambivalenz bezüglich der Entscheidung, verleugnende und vermeidende Bewältigungsstrategien, gefühlte Bindung an das Kind und vor allem: vorangegangene psychische Probleme. Die Autoren weisen darauf hin, das viele dieser Risikofaktoren prinzipiell psychische Probleme nach kritischen Lebensereignissen vorhersagen (auch bei Geburt eines Kindes) und somit nicht SSA-spezifisch zu bewerten sind.
Die ungewollte Schwangerschaft selbst ist ein großer Stressor, der die Entstehung psychischer Probleme begünstigen kann - egal wie man sich entscheidet.
Die Übersicht wurde natürlich von Abtreibungsgegnern und Pro-Life-ausgerichteten Forschern (dies ist ein kleiner erlesener Kreis, deren Namen sich immer wieder finden) versucht zu diskreditieren. Es ist aber nicht die einzige Auswertung von Studien, die zu genau diesen Ergebnissen kam.
Wer sich selbst einen objektiven Überblick darüber verschaffen möchte und gut englisch kann, mache sich selbst ein Bild:
http://www.apa.org/news/press/releases/2008/10/rpt-health.pdf
Zusammenfassend kann man sagen, dass die aktuelle Studienlage k e i n e ausreichenden Hinweise darauf gibt, dass ein SSA mehr psychische Störungen nach sich ziehen als die Geburt eines Kindes. Einzelne Risikofaktoren können jedoch eine Störung begünstigen wie sie auch psychische Probleme nach jeder anderen Entscheidung (auch für ein Kind) oder Krise begünstigen können.
Ich finde es richtig und in Ordnung, wenn hier darauf hingewiesen wird, dass nicht alle Frauen mit einem Abbruch im Nachhinein gut umgehen können, einige sogar ernsthafte psychische Probleme entwickeln können. Dies jedoch als "Regelfall" darzustellen oder gar einer Frau dies als unumstößlich zu prophezeien oder mit Depression geradezu zu drohen, und dabei unter den Tisch fallen zu lassen, dass die Entscheidung für ein Kind ebenso schwerwiegende Konsequenzen haben kann (wobei dann auch noch ein existierendes fühlendes Kind in Mitleidenschaft gezogen werden kann), ist angesichts der Faktenlage höchst fahrlässig und im Einzelfall sogar absichtsvoll falsch im besten Fall gut gemeint, aber wir alle wissen: das Gegenteil von gut ist gut gemeint. In diesem Sinne bitte ich um einen verantwortungsvolleren Umgang mit solchen Behauptungen.
Liebe Grüße!