Frauen haben ein Recht auf IHR Leben!
Noch mit 18 Jahren war ich sehr kritisch gegenüber Frauen, welche abtreiben liessen. Die hätten vorher überlegen sollen, fand ich. Später gab ich mir Rechenschaft, dass das Überlegen offenbar nicht immer hilft...
Als ich, 24-jährig, zum ersten Mal mit einem Mann (meinem zukünftigen Ehemann) schlief, dachte ich nur: Heute wird wohl nichts passieren, es sind nicht meine fruchtbaren Tage obwohl ich eigentlich genau wusste, dass darauf kein Verlass war... Ich wartete dann auch voller Angst auf meine nächste Monatsblutung es war nichts passiert. Danach brauchten wir jeweils Kondome und später liess ich mir von meinem Arzt ein Diaphragma einpassen. Die Pille wollte er mir nicht verschreiben, bevor ich Kinder geboren haben würde, sie war eben erst auf den Markt gekommen (1961) und er traute ihrer Langzeitwirkung noch zu wenig.
Ich erlebte dann, wie eine Freundin Chinin schluckte um abzutreiben allerdings ohne Erfolg. Zwei andere Freundinnen hatten einen Schwangerschaftsabbruch. Und dann wurde ich selbst schwanger, trotz Scheidenpessar. Das Vorher-Überlegen hatte nichts genützt...
Es war einige Wochen bevor ich einen Sommerkurs für Tanz besuchen wollte. Als die Periode sich ein paar Tage verspätete, fragte ich meinen Arzt um Rat. Er gab mir eine Spritze, welche die Blutung auslösen sollte, falls ich nicht schwanger war. Angst. Nichts passierte. Verzweiflung. Das darf nicht sein! Das kann nicht sein! Mir doch nicht! Nicht jetzt! Ich konnte unmöglich im schwangeren Zustand am Sommerkurs mit täglich neun Stunden Tanztraining teilnehmen. Und das Examen an der Tanzakademie konnte ich in den Kamin schreiben. Nein! Für ein Kind würde es vielleicht später in meinem Leben Platz geben nicht jetzt, NICHT JETZT! Tanz bedeutete mir mein Leben!
Immer noch keine Blutung. Selbstvorwürfe: Hatte ich das Diaphragma nicht richtig eingesetzt? War es am letzten Tag meiner Periode passiert, wo ich dachte, dass eine Befruchtung ausgeschlossen sei? Verzweiflung, Ohnmacht, Wut. NEIN! Ich hasste dieses Ding da in mir drin, das sich in mir breit machte, von mir, meiner Person, meinem Selbst Besitz zu ergreifen drohte. Das mich aufzufressen drohte wie ein wucherndes Geschwür, meine Träume zunichte machen, mein Leben zerstören wollte.
Ich glaubte ersticken zu müssen, fühlte mich im wahrsten Sinne des Wortes zur Leibeigenen werden. Enteignung, Leibeigenschaft. Alles in mir bäumte sich auf gegen diesen zerstörerischen Eindringling. Dieses Etwas, das sich ungefragt in meinem Körper eingenistet hatte, musste wieder weg... diese Schwangerschaft musste weg, weg, weg. Ich wollte nur eines: Von dieser Fessel befreit sein. Ich weinte, heulte, schrie, fluchte. Und ich empfand eine ohnmächtige Wut: Gegen das Ding, gegen das Schicksal, die Natur, gegen das Diaphragma, das versagt hatte und gegen mich selbst, weil ich es vielleicht nicht richtig eingesetzt hatte, gegen den Staat, der mir eine Abtreibung verbieten wollte. Was ging das den Staat an, was ging das die Polizei an, was mit meinem Bauch passierte?
Ich dachte laut darüber nach, dass die körperliche Anstrengung vor oder während dem geplanten Sommerkurs vielleicht einen Spontanabort auslösen würde... Mein Mann fühlte und litt mit mir, er ängstigte sich um mich. Er wusste, was mir die Tanzausbildung bedeutete. Und er respektierte meinen Wunsch, diese Schwangerschaft abzubrechen.
Unter Tränen flehte ich den Arzt an, mir zu helfen. Er willigte schliesslich ein.
Natürlich hatte ich Angst vor dem, was nun kommen würde. Der Eingriff erfolgte unter örtlicher Betäubung. Mit ein paar wenigen Einstichen wurde der Muttermund unempfindlich gemacht, das fühlte sich an wie beim Zahnarzt... dann spürte ich nur noch schwach die Instrumente, ohne jegliche Schmerzen. Nach wenigen Minuten war alles vorbei. Ich stieg vom Gynäkologenstuhl und nachdem ich mich auf einer Couch einen Moment ausgeruht hatte, konnte ich nach Hause. Körperlich war ich rasch wieder fit und seelisch fühlte ich mich wie neu geboren. Mein Albtraum war zu Ende, mein nicht-schwangerer Zustand, meine körperliche Integrität, mein Ich waren wieder hergestellt. Ich gehörte wieder mir selbst! Ich empfand nichts als Erleichterung, Erlösung. Der Abbruch meiner Schwangerschaft war ein Akt der Befreiung. Ich war dem Arzt unendlich dankbar, dass er mir geholfen hatte und ich bin es noch heute. Ich habe meinen Entscheid nie bereut. Er hat es mir ermöglicht, meinen Tanztraum zu verwirklichen, mein Leben zu leben.
Sicher, ich hätte es überlebt, aber wenn ich diese Schwangerschaft hätte austragen müssen, wäre mein ganzes Leben anders herausgekommen. Und ich weiss nicht, ob ich einem Kind die Vereitelung meines damaligen Lebensziels, das mir so viel bedeutete, hätte verzeihen können...
Mit dem erfolgreichen Abschluss meiner Tanzausbildung war diese Etappe meines Lebens wie abgerundet, der Raum öffnete sich für anderes. Ich habe etwas später drei Kinder, Wunschkinder, zur Welt gebracht. Bei diesen drei Schwangerschaften hatte ich jeweils vom ersten Moment an ein Gefühl der freudig erregten Erwartung, in völligem Gegensatz zu dem, was ich beim ersten Mal empfunden hatte.
Das ist jetzt bald 50 Jahre her - und ich bin immer noch dankbar, dass ich damals die ungewollte Schwangerschaft unter guten Bedingungen beenden konnte.